Sterben in Entenhausen

Aus Alleswisser
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1.       Umgang mit lebensbedrohlichen Situationen

Um Spannung zu erzeugen, schuf Carl Barks immer wieder Situationen, in denen sich Mitglieder der Familie Duck in Lebensgefahr befinden. Ein Beispiel ist „Terror auf dem Strom“ [1]. Donald Duck gerät in die Hände eines vermutlich geistesgestörten U-Boot Besitzers, der sich Donalds dadurch entledigen will, dass er ihn auf dem Grund eines Flusses in einem U-Boot wie in einem Sarg zurücklässt. 

Carl Barks war bekannt, dass bestimmte Themen seitens seines Verlags verboten waren, z.B. Gewalt, aber er fand Wege, diese Zensur gelegentlich  zu umgehen.

Ich wusste, dass ich nicht zu viel Gewalt ins Spiel bringen durfte … Ich hatte den Eindruck, dass ich die Redakteure viel leichter auf meine Seite bringen konnte, wenn ich [einen Schurken, Anm. d. Verf.] als völlig verrückt darstellen würde als wenn ich ihn zu einem Killer machte. So schuf ich einen Kerl, der bei niemandem einen schlechten Beigeschmack hinterlassen und bei keinem Kind Albträume auslösen würde. [2]

Auch Erika Fuchs, die die Texte von Carl Barks recht frei ins Deutsche übertrug, hielt sich an die Vorgaben von Disney und vermied es meist, Gewalt direkt anzusprechen. Dies entsprach auch ihrer Überzeugung, dass allzu explizite Gewalt in Bild und Wort nicht für die Hauptzielgruppe der Geschichten, ein kindliches und jugendliches Lesepublikum, geeignet sei. Deshalb milderte sie den amerikanischen Ausdruck „buried“, also „begraben“ ab, indem sie eine harmlosere Formulierung wählte.

Donald Duck-Heftausschnitte [Carl Barks, Die Biographie, 46f.].
DD Barks Biografie 46b.jpeg

Sie vermied damit die Assoziation „Tod“ und überließ es der Phantasie der Leserinnen und Leser, sich die Folgen der verbrecherischen Pläne des verrückten U-Boot Besitzers vorzustellen. Wie in allen Geschichten von Barks bzw. Barks/Fuchs gibt es ein Happy End, was dazu beiträgt, dass sich die Leserinnen und Leser - sicherlich ganz im Sinne Disneys – wohl keine Gedanken über das ernste Thema Sterben machen dürften.


Aber gelegentlich brach Carl Barks offen Disneysche Tabus, z.B. in „Das Gespenst von Duckenburgh“ [3]. In dieser Geschichte verfolgt ein vermeintliches Gespenst Tick, Trick und Track mit der Absicht, die Kinder brutal umzubringen.

Diese Szene ist voller Spannung und passt deshalb sehr gut in eine Abenteuer- und Kriminalgeschichte. Dies mag der Grund gewesen sein, weshalb die Redakteure sie nicht zensiert haben. Außerdem ist das Ende versöhnlich, denn Recht und Gerechtigkeit behalten die Oberhand.

2.       Angst als Auslöser von Krankheit

In vielen Geschichten plagen Dagobert Duck große Sorgen vor dem Diebstahl seines Geldes, wobei er um seine Gesundheit, vielleicht sogar um sein Leben, fürchten muss. Dies ist z.B. in der Geschichte „Eingefrorenes Geld“ [4]  der Fall.

Onkel Dagobert-Heftausschnitt [MM 52 (1962) 16].
Donald Duck-Heftausschnitt [TGDD 83/3 (1985) 37].

Dagobert Ducks Formulierung „Das ist das Ende“ ist zweideutig. Sie kann bedeuten, dass der Anschlag der verbrecherischen Panzerknacker auf seinen Geldspeicher das Ende von Dagobert Ducks Reichtum bedeuten könnte; der reichste Mann der Welt könnte aber auch seine Befürchtung zum Ausdruck bringen, dass ihn diese Sorge ins Grab bringen könnte. Die Formulierung „Das ist das Ende“ ist euphemistisch und klingt weniger erschreckend als „Das ist mein Tod!“. Dagobert Ducks überzogene Gestik wirkt aber so komisch, dass es ausgeschlossen werden kann, dass es Barks bzw. Barks/Fuchs um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema Sterben gehen könnte. Damit wird ein Tabubruch umgangen. Ähnlich ist es in der Geschichte „Wudu-Hudu-Zauber oder Ein Zombie geht durch die Stadt“.[5] Als Donald Duck aus Unwissenheit über die möglichen Konsequenzen seines Handelns auf eine vergiftete Wudu-Puppe drückt , fällt er in Ohnmacht und erkrankt daraufhin ernsthaft.

Er entwickelt panische Angst sterben zu müssen und fühlt sich sterbenskrank. Offensichtlich zeigt er auch Krankheitssymptome wie z.B. Fieber und starkes Schwitzen . Aber auch diese Geschichte geht gut aus und keine Leserin und kein Leser braucht sich wirklich Sorgen um Donald Duck zu machen.


3.       Krankwerden als Folge von extremem Stress

In der Geschichte „Der verhängnisvolle Kronkorken“[6] wird Dagobert Duck so von aufdringlichen Bittstellern behelligt und steht geschäftlich so unter Dauerstress, dass er ernstlich krank wird und einen totalen Nervenzusammenbruch erleidet. Noch schlechter geht es ihm in der Geschichte „Die Kohldampfinsel“[7]. Dagobert Duck hat alle Freude an seiner Arbeit und seinem Geld verloren, sodass er einen Arzt aufsucht. Offensichtlich befürchtet er sogar, unheilbar erkrankt zu sein, denn er fragt den Arzt „Besteht Aussicht auf Heilung?“[8] Er könnte also daran denken, dass er bald sterben müsse. Es stellt sich aber heraus, dass sich der gestresste Unternehmer nur eine längere Auszeit am Meer gönnen muss. Deshalb brauchen sich Leserinnen und Lesern keine Sorgen mehr zu machen, dass Dagobert Duck an seiner Erkrankung sterben könnte.

4.       Altersbedingtes Kranksein, Hinfälligkeit und Sterblichkeit

In einer Geschichte aus Carl Barks` Spätwerk stehen existentielle Fragen um das Thema Leben im Horizont der Endlichkeit im Mittelpunkt. In der Geschichte „Uncle Scrooge: Go slowly, sands of time! Altersbeschwerden”[9] greift Carl Barks das Thema des gesundheitlich angegriffenen Dagobert Duck ungewöhnlich deutlich auf. Es geht darum, dass der alternde Großunternehmer sich große Sorgen macht, was aus seinem Vermögen und Lebenswerk wird, wenn er einmal stirbt. Dagobert Duck sagt zu sich selbst: „Ich muß wohl der Tatsache ins Auge blicken, daß meine besten Jahre vorüber sind. Das Alter hat mich eingeholt.“[10] Offensichtlich macht er sich Gedanken um den Tod. Weil der reichste Mann der Welt es niemandem zutraut, sein Vermögen zusammenzuhalten, sucht er nach einem Weg, sein Leben zu verlängern und seine Vitalität zurückzugewinnen. Er strebt sogar nach ewiger Jugend, d.h. er möchte unsterblich werden. Auf einer Reise in ein abgelegenes Tal im Himalaya, in der es sehr viele uralte Menschen gibt, nimmt er sehr große Mühen auf sich, dieses Ziel zu erreichen.  Alles erweist sich als nicht zielführend. Schließlich erfährt er von einem weisen Tempelwächter, worin das Geheimnis des langen und glücklichen Lebens besteht: „Es ist ein einfacher Grundsatz! Tue deine Arbeit mit Freude im Herzen!“[11] Weil Dagobert dies immer getan hat, ist er endlich zufrieden und blüht wieder auf. Es ist anzunehmen, dass Carl Barks auch in der unermüdlichen Arbeit den Weg zu einem erfüllten Leben gesehen hat. Dies wäre eine rein säkulare Sichtweise. Aus keiner seiner Geschichten lässt sich ablesen, dass Carl Barks eine wie auch immer geartete religiöse Antwort auf die Sinnfrage gegeben hat. Dies entspricht auch der Tatsache, dass Barks nachweislich nicht an ein Weiterleben nach dem Tod geglaubt hat.

5.       Explizite Darstellung des Sterbens

Das Thema Altwerden,  Siechtum und Sterben wird in der Geschichte „Der Erbe des Dschingis Khan“[12] explizit aufgegriffen. Carl Barks traut sich hier – entgegen der Tabuvorgaben Disneys – den Sterbeprozess offen zu zeigen. Die Ducks treffen auf Hulagu, den Enkel Dschingis Khans, der seit über 700 Jahren aufgrund eines Wunder-Pulvers für immer vor Sterblichkeit  sicher ist. Weil er aber im Lauf der Zeit erkannt hat, dass es nicht erstrebenswert ist, unsterblich zu sein, möchte er endlich in Frieden sterben können. Ohne die Menschen, mit denen er eng verbunden war, hat das Leben für ihn keinen Sinn mehr. Auch Reichtum und Macht, nach denen er einst gestrebt hat, bedeuten ihm nichts mehr. Mit dieser Einsicht von der Endlichkeit des Lebens und der Notwendigkeit einer ernsthaften Suche nach einer Antwort auf die Frage nach einemwahrhaft gelingendem Leben ist er Dagobert Duck , der nur im Hier und Jetzt lebt, weit voraus.

Onkel Dagobert-Heftseite [MM 35 (1968) 38].


Diese Bilder sind äußerst anschaulich und eindringlich, aber sie können durchaus erschreckend sein, gerade für sehr junge Leserinnen und Leser. Barks nimmt ihnen dadurch etwas den Schrecken, dass er im Schlussbild einen glücklichen Dagobert Duck zeigt, der Hulagus Sehnsucht nach ewigem Frieden nicht ernst nimmt und sich an seinen neu gewonnenen Schätzen erfreut.

In der ebenfalls das Thema Sterben explizit aufgreifenden Geschichte „Vor Neugier wird gewarnt. Eine Geschichte aus dem alten Persien“[13] kommen Menschen gewaltsam zu Tode. Die Leserinnen und Leser werden Zeugen, wie ein Gas, das Menschen pulverisiert, austritt und ein gewissenloser Professor und ein antiker König und sein Gefolge  von dem Gas bei lebendigem Leibe allmählich aufgelöst werden.

Donald Duck-Heftausschnitt [TGDD 80/1 (1984) 24].
Donald Duck-Heftausschnitt [TGDD 80/1 (1984) 24].


Diese Bilder widersprechen ebenfalls den Vorgaben Disneys. Dass sie nicht unter die Zensur gefallen sind,  ist bemerkenswert. Sie sind aber auch in anderer Hinsicht bemerkenswert: Wenn der König davon spricht, dass sein Leben ohne Freuden und Annehmlichkeiten wie gutes Essen , Musik und Tanz sinnlos sei, dann könnte das eine Anspielung auf die  Frage nach dem Sinn des Lebens sein. Der antike König , wie auch Dagobert Duck in „Der Erbe des Dschingis Khan“, sehen den Sinn des Lebens offensichtlich rein diesseitig-säkular. Was einzig für sie zählt, sind Vergnügungen. Sie bleiben damit aus religiöser Sicht an der Oberfläche.  Barks/Fuchs sorgen wieder für ein Happy End für die Ducks. Dies dürfte den möglichen Schrecken der Leser durch das schlimme Ende des Professors und der antiken Personen mildern und käme den Vorgaben Disneys nahe.


[1] TGDD 87/1, 3-30.

[2] Barrier,Michael: Carl Barks. Die Biographie. Mit einer Einleitung von Carl Barks. Mannheim: Brockmann und Reichelt 1994, 46f.

[3] TGDD 1/1 (1965) 3-34.

[4] MM 10 (1957) ohne Titel. [TGDD 18/3]

[5] TGDD 83/3 (1985) 34-66.

[6] MM 19 (1959) 37-39; MM 20 (1959) 14-16. 34-40; MM 21 (1959) 11-16. 34-36.  [TGDD 77/3]

[7] MMSH 31/1 (1955) ohne Titel, 2-30. [TGDD7 mit Titel]

[8] Ibid., 4

[9] Blum, Geoffrey (Hg.): Carl Barks Collection. Herausgegeben und kommentiert von Geoffrey Blum, Filderstadt: Egmont Horizont Verlag 2008 (Carl Barks Collection 30, 1972-2000) 29-248.

[10] Ibid., 240.

[11] Ibid., 248.

[12] MM 33 (1968) 32-38, MM 34 (1968) 15-16. 30. 32. 34-37 und MM 35 (1968) 32-38. [TGDD 75]

[13] TGDD 80/1 (1984) 3-46. 48-66.